Schabowski bittet erneut um
Verzeihung
Moralische Mitschuld
bekräftigt / Anklagevorwurf des Totschlags
zurückgewiesen
Der frühere Berliner SED- Bezirkschef und Maueröffner"
Günter Schabowski hat gestern im Politbüro-Prozeß
seine moralische Mitschuld an den Toten an Mauer und
Stacheldraht bekräftigt. Ich bitte die
Angehörigen der Opfer um Verzeihung", sagte er in
einer persönlichen Erklärung am 106. Prozeßtag vor dem
Berliner Landgericht zum Ende der Beweisaufnahme. Er
mache sich heute den Vorwurf, einer falschen Sache
gedient zu haben",
Jeder Tote und Verletzte sei zu einem Zeugen und
Mahner für die Untauglichkeit unseres sozialen Rezeptes
geworden".
Ein Staat, der seinen Bürgern die Freizügigkeit raube,
habe nichts Besseres verdient als die Verweigerung
seiner Bürger und seinen Exitus", sagt er.
Der heute 68jährige hatte durch seine Pressekonferenz am
9. November 1989 die Öffnung der innerdeutschen Grenze
ausgelöst. In dem Prozeß muß er sich wegen Totschlags
an Flüchtlingen verantworten.
Mit ihm sitzen der letzte DDR Staats- und Parteichef Egon
Krenz und SED-Wirtschaftsfachmann Günther Kleiber auf
der Anklagebank.
Schabowski erklärte weiter, daß er trotz seiner
politischen und moralischen Verantwortung «den
Anklagevorwurf des Totschlags gegen ihn nicht als
bestätigt ansehe. Ich kann auch heute nicht
erkennen und akzeptieren, als Politbüro-Mitglied mit dem
Vorsatz gehandelt zu haben, Flüchtlinge müssen getötet
werden." Das Gericht fragte er Bin ich ein
Totschläger?" und Bin ich ein
Schreibtischmörder?".
Während seiner fünf Jahre im Politbüro habe er von den
Toten nur aus Westmedien erfahren, sagte Schabowski. Im
Politbüro hätten die Opfer keine Rolle gespielt: Es
wurde nie über Tote an der Grenze gesprochen. Auch das
können Sie mir vorwerfen." Einzelheiten des
Grenzregimes habe er erst nach dem Mauerfall erfahren,
Er betonte, die SED sei eine Partei mit absolutistischer
Tendenz gewesen. Der Sturz von
Staats- und Parteichef Erich Honecker sei nur durch eine
Art Staatsstreich, eine Palastrevolution aus der
SED-Spitze" möglich gewesen. Vor der Absetzung
Honeckers sei an eine Abschaffung des Grenzregimes
nicht zu denken gewesen, dpa
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